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    In der ersten Spalte ein paar Pressetexte über den Autor und seine Werke, in den folgenden Spalten einige Reportagen vom Autor selber. Und was hier keinen Platz fand, fand ihn da
     
 

IM HEUSCHRECK

Möchten Sie einen Protagonisten steuern? Wenn Sie genügend hinblättern, können Sie den neuen Roman von Heinz Emmenegger beeinflussen. Kein Problem, denn die Geschichte hatte er sowieso nicht unter Kontrolle.

Tageesanzeiger      Der ganze Beitrag als JPG 

Bei Emmenegger besteht das Personal aus dubiosen Geheimdienstlern, philosophischen Räsonierern und undurchsichtigen Afrikareisenden.
Deutschlandfunk        Der ganze Beitrag als PDF



MESSER SIEBEN

Der 49jährige Emmenegger beherrscht die Klaviatur der Sprache und hat einen schrägen Blick auf die Menschen, ihre Eigenarten, Ängste und Verrücktheiten.
St. Galler Tagblatt      Der gane Beitrag als  PDF

Was für ein außergewöhnliches Vergnügen: So viele Eselsohren in den Seiten, weil man wieder zurückblättern und nochmal lesen möchte, weil man es wirklich richtig verstehen will, weil man es verstehen muss! Weil es so schöne und ganz und gar menschliche Worte sind, über eine so hässliche und unmenschliche Sache wie – ein Messer.
Readindie.wordpress       Der gane Beitrag als  HTML


Ein Messer auf Mordtour: Messer Sieben heisst die Hauptfigur im gleichnamigen Roman von Heinz Emmenegger. Seinem Dasein als Metzgermesser überdrüssig, macht es sich selbständig. Hüpfend, purzelnd, ziel oder besser gesagt stichsicher. Doch steckt wirklich einzig allein das Messer hinter den Morden?
Radio SRG 2     Der gane Beitrag als MP3

Ein Krimi? Ja, auch. Aber viel mehr. Nichts da mit Polizeiroutine und Gerichtsmedizin. Stattdessen: ein Messer als Hauptfigur, das Messer Sieben
des Metzgers Schwegler in einem Schweizer Vorort.

Aus der Sächsischen Zeitung     Der gane Beitrag als  PDF

Ein  trauriger Metzger, ein philosophischer Grillmeister, eine flotte Witwe, ein verklemmter Vegetarier, ein ehemaliger Fremdenlegionär und eine schmelzende Zugfahrerin - der Zürcher Autor versammelt im Zweitling weitgehend das gleiche Personal wie im Erstling "Pfister": normale Menschen mit alltäglichen Sorgen. Wie  erfrischend! Nur das erzählende Messer, das ist neu.
Aus der Schweizer Illustrierten


PFISTER

Heinz Emmenegger unterhält in seimen Roman PFISTER mit grotesker Komik.
...Heinz Emmenegger beweist in seinem Romanerstling beträchtliches satirisches Potenzial. Mit Sprachwitz und Situationskomik gestaltet er die in allerlei Absurditäten ausufernde Handlung in Pfisters trautem Heim. Wobei mit Handlung eigentlich schon zuviel gesagt ist. Denn viel geschieht im Grunde nicht. Emmenegger lässt vielmehr wie auf einer Theaterbühne Figuren auftreten, die teils aus einem Dürrenmatt-Stück, teils aus einem Becket-Drama entlaufen sein könnten, die aber eines gemainsam haben: Sie stehen alle etwas schräg und verloren im Leben....

Aus der NZZ      Der ganze Artikel als PNG    

...sein Stil ist eigensinnig. Emmenegger beschreibt die Charaktere in  seinem ersten Roman PFISTER, der als Auftakt einer Serie konzipiert ist präzise:  Wie Bauklötze setzt er die Wörter und Sätze aufeinander, sodass ein Eindruck der Person oder Situation entsteht wie in einem kubistischen Gemälde....   Aus der Aargauerzeitung.   Der gane Artikel als PDF


Pfister überrascht und überzeugt
...Pfister ist ein „Heimlifeisser“. Irgendwann stellt der Leser fest, dass der Mann in das Bild des zufriedenen Idioten nicht hineinpassen will. Pfister nimmt differenziert wahr, was um ihn herum und in seinem Innern geschieht; die Schärfe seiner Beobachtungen steht jener der zynischen Fernsehleute in nichts nach. Die Präzision und scheinbare Leichtigkeit, mit der Gefühle, Gedankengänge und Beziehungsmechanismen geschildert werden, machen diesen Roman verdammt stark – zusammen mit der eigenständigen, an Bildern und Assoziationen reichen Sprache....

Aus Rubikon.ch     Der gane Artikel als PDF
 

STORYBOX

Edgar Allan Poe hat
einmal gesagt, eine gute Geschichte müsse man in einem Zug  durchlesen können. Bezogen hat er dies übrigens auf die Länge, nicht auf den spannenden Inhalt.  

Würde der Krimi-Autor noch leben, wäre er sicher ein Fan von Heinz Emmeneggers STORYBOX. In dem Schächtelchen, das ein bisschen dicker als ein Zigarettenpäckli ist, stecken auf Karteikärtchen hundert Kürzestgeschichten des Zürchers. Ideal im Zug, an der Tramhaltestelle, sogar am Skilift. Ein herziges Mitbringsel für Ungeduldige und Edgar-Allan-Poe-Fans - und zu einer der beiden Kategorien gehören ja schliesslich fast alle. (sl)
Aus dem Züritipp des Tagesanzeigers


"Geben Sie mir fünf Minuten", so lautet die Kürzestgeschichte Nr.1, die Heinz Emmenegger, 34 jähriger Akademiker, Nachtwächter und Hilfspfleger, verfasst hat. Weitere 49 Geschichten für den Aufenthalt im Tram oder auf der grossen Brille hatt Emmenegger in seiner STORYBOX gesammelt. Und nach und nach kommen weitere Texte über die Hauptfigur Pfister (und "sin Fru") in Zehnerportionen hinzu. Und später vielleicht ein Roman?                                                                    (ram.)             
Aus dem Magazin des Tagesanzeigers

 

Nie mehr um eine Geschichte verlegen ist der Besitzer eines STORYMATS des Künstlers Peter Löble. Gegen Einwurf eines Frankens spuckt der Automat zehn Erzählungen aus. Geschrieben hat die Kurzgeschichten der Autor Heinz Emmenegger. Bezugsquelle: Friends of Carlotta, Zürich.
Aus dem Facts


Der STORYMAT von Heinz Emmenegger spuckt gegen Einwurf von einem Franken die jeweils neuesten zehn Kurzgeschichten aus. Die kreditkartengrossen Geschichten lassen sich wiederum in der eigens dafür konzipierten STORYBOX aufbewahren und sammeln. Die homöopathische Dosis Literatur mit Witz lässt sich über "Friends of Carlotta" beziehen, wo auch der STORYMAT steht.
Aus der Annabelle


Da ist man am Campen, hockt vor dem Zelt und langweilt sich. Buch vergessen, Zeitung vergessen, Walkman vergessen. Frau vergessen. Nur das Zelt und Sie, LeserIn. Und die STORYBOX. Die Rettung. Das Zigarettenschachtel grosse Päckchen beinhaltet fünfzig Kärtchen mit je einer Kürzestgeschichte.

"Sehen Sie diese Wolke da? Das bin ich."

"Sie spassen."

"Nein, nein, das bin ich wirklich."

"Na schön, Sie meinen so als Metapher."

"Nein, nein, keine Metapher, ich bin es wirklich."

"Na also, Sie spinnen ja, was soll das. Sie stehen doch neben mir.

"Nein, nein, ich bin die Wolke da. Sie meinen nur, ich stehe neben ihnen. Mit Verlaub, Sie beleidigen mich."

"Na he, Sie beleidigen mich. Sie verarschen mich ja auf das Schlimmste.    ` Ich bin eine Wolke`, so ein Stuss."

"Wetten?"

"Wetten mit einer Wolke?"

"Na endlich."

Zurück in zivilen Gefilden liegt die Fortsetzung der Geschichtensammlung im STORYMAT. Gegen Einwurf eines Frankens spendet die witzige Maschine die zehn neuesten von Heinz Emmenegger geschriebenen Episoden. Und die Storys sind lustig, unterhaltsam und knallen. Ist doch heiss.  Aus dem Forecast






 
© Neue Zürcher Zeitung; 18.02.2006; Nummer 41; Seite 75
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Zeitbilder

Der Planktonfischer

Augen zu: Fünf Minuten Blindfahrt durch die Ostschweiz. Der Planktonfischer will den Standort des Gewässers nicht preisgeben. Augen auf: Kühe, Mais, Weiden, weiter weg ein Gehöft. Das Gewässer mittendrin ist voller Plankton, Wasserflöhe stossen sich ruckartig durch ihr Lebenselixier. Wasserflöhe sind Plankton, aber Flöhe sind sie nicht. Wasserflöhe sind Kleinkrebse, Süsswasserkrill, einen bis drei Millimeter gross, blutrot und im Sommer die Beute von Marc Zeier, dem Planktonfischer.


Planktonfischer

Plankton ist eine Art zu leben, die uns Landbewohnern etwas fremd geworden ist oder zumindest fremd erscheint, da wir uns der obersten Ebene der Fresskette im Wasser doch viel näher fühlen: wendigen, hübschen Fischen, die Beute suchen und mit einem im Fischhirn gut kalkulierten Flossenschlag sich ans Opfer heranbringen, um danach zu schnappen. Plankton aber heisst schweben, sich treiben lassen, immerzu filtrieren und selbst filtriert werden, hiesse für uns aufrechte Wirbeltiere vielleicht zappen und shoppen, surfen und googeln und nicht erfinden und produzieren. In diese dahintreibende Welt senkt der Planktonfischer sein Netz und fischt einen kleinen Teil davon ab. - Als Marc Zeier vor vierundzwanzig Jahren am Anfang seiner Künstlerkarriere stand, erhielt er das Angebot, sich ein Zweitleben zuzulegen. Er wurde Planktonfischer und kaufte seinem Vorgänger Material, Wissen und Bewilligungen ab. Viele Jahre lang hat er Kunst und Plankton auseinander gehalten, obwohl seine Installationen und Videos sowie das Soundprojekt «G*Park» immer wieder Natur in Farben und Tönen ab- und umbilden. Erst in jüngster Zeit durften die kleinen Krebse in seinem Atelier Einzug halten. Mit speziellen Mikrofonen hat er ihren Gesang und ihr Geschabe aufgenommen. Für eine der daraus entstandenen Installationen belohnte ihn die Stadt Zürich denn auch prompt mit einem Preis.
Plankton macht also Krach. Am lautesten benehmen sich die Krebse im Plankton, darunter als bekanntester und grösster Vertreter der Krill aus den südlichen Meeren, Futter für Wale, Robben und Pinguine. Plankton sein heisst sich nicht oder wenig gegen horizontale Wasserströmungen durchsetzen können. Und das trifft auf viele Organismen aus allen Klassen zu. Bakterien sowie pflanzliche und tierische Einzeller, Algen oder Rädertiere, sind die kleinsten Plankter und stehen sowohl am Anfang der Nahrungskette als auch am Anfang der Evolution. Es kommen Mehrzeller dazu, Verbände von Algen, einfache Wirbellose, Würmer, Krebse und als grösste Plankter die Quallen. Ferner verbringen die meisten Fische und höheren Krebse in Form von Eiern und Larven ihre Kindheit als Plankton, ehe sie genügend gross und kräftig sind, um aus eigener Kraft durchs Wasser zu pfeilen, worauf sie dann Nekton genannt werden. Nekton ist Leben, das sich selbst in die Flossen nimmt und Ahnungen hat, wenn es in Netze oder an Haken gerät, wo es sich zuweilen heftig wehrt und den Angler zum Sportler werden lässt.
Wasser bietet kleinen Lebewesen mehr Widerstand als grossen, darum bewegen sich Einzeller im Wasser wie in Honig. Dementsprechend sinken sie nicht so rasch ab wie die grösseren Lebewesen. Sinken und Steigen sind für sie essenziell. Sinken kann einfach den Tod bedeuten für Plankter, die zu wenig Auftriebshilfen haben wie zum Beispiel Gasblasen oder Fortbewegungsmittel wie Geisseln oder Beinchen. Sinken kann aber auch Überleben bedeuten, wenn die Winzlinge dadurch Räubern entgehen.
Phytoplankton sucht tagsüber die Oberfläche, um Sonne zu tanken, Zooplankton steigt eher nachts auf, um Ersteres zu fressen. Tagsüber wartet es in der Tiefe und begnügt sich mit dem, was von oben herabsinkt.
Den Winter verbringt der Wasserfloh in Eiform, wenn es sein muss, jahrzehntelang, was den Zusatznutzen hat, dass ein warmer Frühling verschiedene Generationen sexuell vereint und für gute genetische Durchmischung sorgt. Den Sommer hindurch vermehrt sich das Wasserflohweibchen durch Parthenogenese; es entlässt aus seinem Bauch unbefruchtete Eier, was bedeutet, dass das geheimnisvolle Gewässer im September voller Klone ist, denen in diesem Wasser kein Fisch nachstellt. Nur dem Planktonfischer müssen sie Tribut zollen. Er zieht sein feinmaschiges Netz durchs Wasser und schöpft ein paar Kilo ab. Im Netz hocken oder stehen oder liegen sie dann alle aufeinander, bilden eine feuchte, körnige Masse und werden sogleich in ein Wasserbecken und später zum Transport in gelbe Kanister abgefüllt, in der Tierhandlung in Styroporbehältern aufbewahrt, dann portionenweise in Wassersäcklein geschüttet und schliesslich von einem Aquarianer bunten Zierfischen zum Frass spendiert.
Im Winter, wenn die Wasserflöhe als Eier im Schlick stecken, füllt der Planktonfischer seine Netze mit Ruderfusskrebsen. Die sind etwas kleiner als die Wasserflöhe, sehen aber krebsiger aus. Ruderfusskrebse reagieren empfindlich auf Temperaturschwankungen. Tagsüber lassen sie sich absinken, in der Nacht kommen sie hoch. So muss der Planktonfischer im Winter sehr viel früher aufstehen und im Dunkeln seine Netze durchs Wasser ziehen.
Für die verschiedenartigen Gewässer, die der Planktonfischer aufsucht, hat er auch verschiedenartige Methoden des Befischens. Am Weiher benützt er einen feinmaschigen Kescher an einer Stange. Im flachen Uferbereich eines Sees schlägt er einen Metallpfahl in den Grund, der als Auflage für eine etwa zehn Meter lange Stange dient, mit der er das Netz langsam im Kreis durchs Wasser zieht. Am Fluss lässt er reusenartige Netze in der Strömung treiben.

Netz

Als professioneller Planktonfischer ist Marc Zeier der einzige weit und breit. Konkurrenten kamen und gingen. Zwar beschaffen sich Aquarianer ihr Frischfutter gelegentlich einmal selbst, sie gehen zum «Tümpeln», aber Marc Zeier tut es regelmässig. Er muss immer eine Fangstelle zur Hand haben, um seine Kundschaft beliefern zu können, und er hat dabei mit den Launen der Natur zu kämpfen wie Algenblüten, unterschiedlichen Wasserständen oder Strömungsänderungen, Föhneinbrüchen und Bisenlagen. Rasch kann dem Süsswasserkrill die Freude am Schweben und Filtrieren genommen werden.
So ist das geheimnisvolle Gewässer für den Planktonfischer erste Wahl und sogar hin und wieder etwas zu pflegen. Früher gab es in der Schweiz viel mehr Kleinstgewässer, natürliche und künstliche, die als Stau- oder schlicht Entsorgungsbecken dienten und entsprechend nahrungsreich waren. Auf der Suche nach Fanggründen hat Zeier schon oft nicht mehr existierende Teiche und Tümpel angepeilt, die auf älteren Karten noch verzeichnet waren, aber nun verlandet sind oder entwässert wurden. Und so ist der Standort des einen oder anderen noch verbliebenen Gewässers sein Geschäftsgeheimnis. Dem Zoohändler in der Stadt will er ganz sicher nichts verraten, und sogar seine Freundin weiss nicht über alle Fangstellen Bescheid.
Nicht jede Fangstelle ist so geheimnisvoll, Plankton findet sich in fast allen Gewässern. Es lässt sich im Fluss fangen oder in ein paar Metern Tiefe im See. Der Planktonfischer braucht einfach eine genügend grosse Konzentration davon. Und wenn er sie gefunden hat, ist behutsames Einfangen gefragt. Süsswasserkrill kann nämlich sehr wohl ausweichen, und zwar nach unten. Tatsächlich füllt sich das Netz bei jedem Durchgang etwas weniger. Der Krill im Meer hat noch mehr Bewegungsmöglichkeiten, ist auch grösser, er misst einige Zentimeter und ist darum eigentlich schon Nekton. Aber die Wasserflöhe sind ebenfalls recht aktiv und bilden Wirbelmuster, wenn man sie stört. Je länger der Planktonfischer Plankton fischt, desto mehr wird es für ihn zum Nekton, steigt ihm entgegen, kommt ihm näher und schaut ihn gar durchs Mikroskop mit grossen Augen an. Das Netz spült er jedenfalls sorgfältig aus, damit kein Wasserfloh in der Kuhweide verendet oder einsam im Laderaum vertrocknet, während seine Klone im frischen Bachwasser in den gelben Kanistern herumschweben und durch die schöne Ostschweiz kutschiert werden.
Ohne Plankton läuft im Wasser nichts. Pflanzliches Plankton, vor allem Algen, produziert fast gleich viel Sauerstoff wie die Landpflanzen, und da Eisen ein limitierender Faktor für das Wachstum von Phytoplankton ist, wurde auch schon daran gedacht, die Weltmeere mit Eisen zu düngen, um Phytoplankton besser gedeihen zu lassen und als CO2-Depot zu nutzen. Der grösste Teil des Stoffumsatzes im Plankton wickelt sich in der mikrobiellen Schleife ab, also zwischen Algen und Bakterien. Die grösseren Formen, die Mehrzeller, Würmer, Eier, Larven und Krill, bekommen von diesem grossen Fressen im Nanobereich gar nichts mit.
Nicht Beissen und Packen, sondern Strudeln und Filtrieren ist die bevorzugte Fresstechnik im Wasser. Wale sind die grössten Filtrierer. Ein Blauwal vertilgt in den Sommermonaten täglich eine bis drei Tonnen Krill. Auch all die Korallen, Polypen, Würmer, Schnecken, Seesterne und sonstigen Stachelhäuter und Hohltiere filtrieren, ebenso des Planktonfischers Wasserflöhe und Ruderfusskrebse. Pausenlos bewegen sie kleine Borsten am Kopf und strudeln Wasser und damit die nächstkleinere Klasse Plankton heran. Sie bewegen sich halt doch selbst wie Nekton vorwärts, um frisches Wasser und damit frische Nahrung um sich zu haben.
Strudeln heisst also vor allem, die Umgebung wechseln, den Honig wegdrücken und neuen heranschaffen. Auch der Planktonfischer muss dies tun, auf seine Weise: Er bewegt sich durch leichte Luft. Drückt ein Pedal und fährt bequem auf Rädern über Land, hinten die Kanister voll Wasser, darin Plankton, das sich langsam zu Fischfutter wandelt. Wenige Kilo Futter transportiert er in vielen Kilo Wasser in schon sehr vielen Kilo Metall in hässliche Agglomerationen, wo sich Menschen einzeln als Nekton in Shoppingcenter begeben, um als Plankton gemeinsam Waren zu strudeln, tote Fische zu kaufen, die sie essen, und lebendige, die sie anschauen und füttern, meist mit Trockenfutter, aber hie und da mit frischem, gesundem Lebendfutter aus des Planktonfischers frühmorgendlichem Fang. All dies legen die Menschen in metallene Netze auf Rädern und bilanzieren an der Kasse, fahren ihr Strudelgut nach Hause, um es dort den lebendigen, bunten, von weit her gereisten Fischen ins Wasser zu schütten, die es sofort und gierig fressen, alle Klone ratzeputzen. Oder aber die Menschen geniessen ihre oberste Position in der Nahrungskette und legen sich eine herrliche Forelle blau auf den Teller. Eigentlich sehen sie recht appetitlich aus, die Häuflein Plankton, die im Netz des Planktonfischers liegen. Und es ist wunderbare Nahrung, nicht nur für afrikanische und südamerikanische Zierfische in Aquarien oder schön gestreifte Zürisee-Egli, sondern zweifellos auch für den Planktonfischer und mich. Japaner fischen Plankton, Krill, machen Paste daraus, essen diese und leben lang. Noch liegen die Fänge weit unter den erlaubten Quoten, und Krill gibt es wahrlich viel. Sollte es aber eines Tages so weit kommen, dass die ganze Welt aus Not oder Gier sich Krill strudelt, dann wäre eine solche Überfischung viel verheerender als die Dezimierung von Kabeljau und Konsorten. Der Nahrungskette würde eines der ersten Glieder entfernt.
Obwohl die Krillfischerei noch nicht in schädigendem Umfang ausgeübt wird - das Interesse daran wächst. Immer mehr Nationen versuchen sich darin und fangen Krill nicht als Menschennahrung, sondern als Futter für Fische und für Landtiere. Schliesslich hat auch die Pharmazeutik im Krill interessante Stoffe entdeckt. Das Fangen selbst ist etwas anspruchsvoller als der Fischfang. Kleinmaschige Netze sind schwerer durchs Wasser zu ziehen, das zeigen die Schweissperlen auf der Stirn unseres doch recht sportlichen Planktonfischers, und die Tiere werden bei grossen Fangmengen schnell zerdrückt, weshalb man sie schon im Wasser vom Netz ins Schiff absaugt.
Dem Krill könnte jedoch die Klimaerwärmung viel stärker zu schaffen machen. Treibende Eisschollen scheinen ihm wichtige Brutplätze zu sein. Tatsächlich hat man eine Abnahme der Krillmenge in den letzten Jahren festgestellt. Das wird den Walen, Robben und Pinguinen gar nicht gefallen.
An den Gestaden des heimischen Süsswassers erfüllen die gelben Kanister den Planktonfischer mit Freude, die grünen begeistern ihn gar. Nicht die Füllung, diese zuweilen auch, doch die Kanister selbst haben es ihm angetan. Die Farbe, das Material, das Alter, denn die grünen Exemplare sind fast vierzig Jahre alt, bester dicker Kunststoff, saftig grün immer noch. Die andern Werkzeuge, Pumpe, Stangen und sogar die Netze, weisen ebenfalls ein beachtliches Alter auf. Zu den gelben Kanistern assortiert sich der Planktonfischer mit einem blauen Käppi. Auch sein Lieferwagen ist ihm ein wichtiges Werkzeug, und er erzählt Geschichten von dessen Vorgängern, grossen Amerikanerwagen mit einem speziell angefertigten Anhänger für die Kanister, was das Manövrieren im Gelände natürlich schwieriger machte als mit dem kompakten Lieferwagen.
Wertvolles Material auf des Planktonfischers Verteilreise mit der schwebenden Beute hintendrin sind auch die Käsewähe aus der Bäckerei in Dübendorf oder im Herbst die Trauben, die an der Ausfahrt beim Garagisten und Hobby-Aquarianer wachsen. Und natürlich behandelt der Planktonfischer die Käufer, die Zoohändler, mit grosser Sorgfalt - einer Sorgfalt, die ihm überhaupt eigen ist und der etwa die Kanister ihr langes Leben verdanken. Es ist die Sorgfalt eines Menschen, der keine Berufskollegen hat, mit denen er sich austauschen oder konkurrieren kann. Ganz allein fährt er seine Ausrüstung in der dunklen Nacht durch die Landschaft. Mit seinen Gerätschaften, den Kanistern, Netzen, Seilen, der Pumpe, und dem Auto ist er bei jedem Wetter unterwegs, um Geld zu verdienen.
Die wenigsten Zoohändler wissen vom anderen Leben des Planktonfischers, von seinem Künstlerdasein, worin man ebenfalls oft auf sich gestellt ist, aber immerhin in einem «Kuchen» verkehrt. Und die wenigsten machen den Eindruck, als ob das für sie von Interesse wäre. Auch das Planktonfischen selbst interessiert sie nur mässig; von all dem betriebenen Aufwand wollen sie lieber nichts wissen, vielleicht aus reinem Selbstschutz, um guten Gewissens den Preis drücken zu können.
Eine Zoohandlung, selbst eine mit Aquarien und Fischen drin, hat meist diesen etwas provinziell bünzligen Charme, der scheinbar keine Rücksicht auf Farbe und Form nimmt, sondern ein grosses Mischmasch produziert, erfüllt von Trockenfuttergeruch. Die Fische sind das mit Abstand Schönste darin und bisweilen überaus faszinierend. Es ist eine Welt, wo Schönes und Wohlgeordnetes in oft geschmacklosen Gefängnissen gehalten wird.
Das setzt sich in der Umgebung der Zoohandlung fort, häufig Einkaufscenter, gut erreichbar mit dem Auto, damit die zumeist grossen Gerätschaften abtransportiert werden können. Es sind Orte, die immer wieder von neuem faszinieren durch ihre Unansehnlichkeit, vor allem in einstmals so schönen Landschaften, wie sie um das geheimnisvolle Gewässer herum noch in ursprünglicher Art zu finden sind.
In ihrem etwas provisorischen Stil präsentiert eine Zoohandlung nicht nur die Ware, sie verkauft auch Infrastruktur zu deren Erhalt und zeigt ihre eigene ziemlich hemmungslos. Allerlei Schläuche und Pumpen quellen und surren, um das Leben frisch und gesund zu erhalten. Dazwischen schwimmen im Plasticsack die Wasserflöhe des Planktonfischers. Eine Zoohandlung lebt davon, Leben zu verkaufen. Und vielleicht sind Zoohandlungen die heimlichen Inspirationsquellen von Science-Fiction-Autoren.
Ob der Planktonfischer in seinem andern Leben eines Tages die Schönheit der Zoohandlungswelt dar- oder umstellen wird? Er ist vielleicht schon auf dem Weg dahin, denn seine prämierte Installation umfasst einen Tisch mit darauf abgelegten Fischerstiefeln, zwei algengrünen Probegläsern und zwei Monitoren; im einen zieht der Planktonfischer im Dunkeln schemenhaft seine Netze hoch, im andern strudeln die Krebslein im Infrarotlicht. Zwei Kabel führen unter den Tisch zu Lautsprechern, eingebaut in zwei der so geschätzten gelben Kanister, die einen wunderbaren Resonanzraum abgeben für das Geschabe der Krebse. Und wenn er eines Tages den Arbeitsgang fortsetzt und bei der Darstellung der Zoohandlung angekommen ist, lässt sich vielleicht daraus etwas Trost gewinnen über den Verlust der Schönheit, die unsere Vorfahren noch in ihrer Landschaft vorfanden und die wir mit architektonischen und infrastrukturellen Sammelsurien bedecken, die offensichtlich ohne Zusammenhalt sind, keine Ordnung ergeben, haltlos und daher hässlich erscheinen.
Es ist die Freiheit, die mit der Schönheit wetteifert und diese durcheinander bringt. Es ist die Autobahn in die Ostschweiz, die Dinge und Leben versetzt, die Mahlstrom wird für Plankton wie Wasserflöhe und Nekton wie den Planktonfischer. Die Strasse, der nahe Flughafen und die Eisenbahn sind es, die fremde Materialien und fremde Ideen, fremde Fische und fremde Wasserflöhe ins Shoppingcenter der Agglomeration spülen, wo sich alles neu zusammenstellt über den Parkgaragen und zwischen den Notausgängen.
All diese Gebäude und Verkehrswege werden aus Gebirgen herausgegraben und als Schotter, Sand oder Pulver auf Wegen abtransportiert, die aus denselben Gebirgen herausgeschlagen wurden. Angekommen in den neu zu besiedelnden Gebieten, werden die planmässig herangestrudelten Gebirgsteile ebenso planmässig zu grossen Strudeltempeln aufgebaut und durch gut gelenkte Warenströme möglichst lange frisch gehalten. Der Planktonfischer, der die gebauten Hüllen mit Fischfutter belebt, sucht als Künstler gern die im Gebirge zurückgelassenen Fehlstellen auf, nämlich die künstlichen Höhlen eines Steinbruchs. Darin wirft er Steine herum und notiert die Resonanz mit Mikrofonen oder widmet sich dem Aufprall eines Wassertropfens nach seinem Fall durch den herausgehauenen Raum. Ein Tropfen, der Stalagmiten bilden hilft, die die Höhlen langsam wieder füllen werden, oder der Wellen schlägt im Tropfenmeer am Höhlenboden und dem Künstler dies ebenfalls durchs Mikrofon mitteilt. So strudelt der Planktonfischer auch als Künstler gern in Feuchtgebieten, strudelt Geräusche, Klänge und Bilder, um die Beute zu Hause im Atelier in neue Schwingungen zu versetzen und sie als Ton- und Videokunstwerke in musische Gefangenschaft zu führen.
Ein paar Wochen später macht ein Bachwasser dem Planktonfischer gar keine Freude. Es ist morgens um fünf, kalt und feucht. Sturmlampen blinken, als er etwas vor sich hin fluchen muss beim Betrachten der Ausbeute, die er eben an einem Seeausfluss abgefischt hat. An einer über den kleinen Fluss gespannten Seilkonstruktion hat er drei Netze wie übergrosse Zwergenkappen im Wasser treiben lassen und nach einer halben Stunde ein erstes Mal wieder hochgezogen. Der tiefe Wasserstand hat die Netze nur unvollständig sinken lassen. Ihre runden Öffnungen, von Metallreifen bis zu einem Meter Durchmesser aufgespannt, ragen aus dem Wasser, so dass Schilf in die Netze treibt. Und unter dem Schilf zeigt sich zu allem Überdruss bloss ein kleines Häuflein Plankton, vermischt mit Pflanzensamen. Es sind hauptsächlich Ruderfusskrebse, die Winterbeute. Noch dreimal senkt er die Netze ins Wasser, und immerhin füllen sie sich mit etwas mehr Futter für all die Zierfische in den schön geheizten Stuben der Aquarianer.
Schwimmt später das Plankton in den Styroporbehältern, ahnt keiner, was es alles brauchte, um es zu fangen und auszuliefern. Wie viel ungemütliche Arbeitszeit, vor allem im Winter, und welche Launen der Natur dabei in einen regelmässigen Ertrag verwandelt werden müssen. Darum haben die Gerätschaften stets funktionstüchtig zu sein, ihrem Alter zum Trotz. Der Planktonfischer ist eng mit ihnen verbunden. Jeder Arbeitsschritt hat sich ihm eingebrannt. Und mit Schrecken denkt er daran, dass er eines Tages den alten, zerbeulten Messbecher vergessen könnte.

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© Neue Zürcher Zeitung; 30.04.2005; Nummer 100; Seite 75
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Zeitbilder

Hans Blumenbär oder die Liebe zu Ja und Nein

An der Kellerwand drei Taucheranzüge, im Schrank gegenüber ein Fechtgewand. Im Gestell Kabel und elektronische Apparate aller Art. Die Wohnung, sauber und aufgeräumt, bietet Platz für Schuhe, Kleider, Papiere, Lebensmittel, Kochutensilien, Geschirr, Besteck, Bett, Tische, Stühle, Sofa, einen zentral postierten Computer und einige sehr geschätzte Blumen. Hans Blumenbär liebt Blumen, Frauen, Männer und auch Kinder, spaziert gern herum und mag es, endlos zu schwatzen. Die Schwatzhaftigkeit hat der Blumenbär vom Vater geerbt, und er findet es eine unangenehme Hypothek. Dabei ist er ein charmanter, intelligenter und einfühlsamer Begleiter in allen Lebenslagen. Hans Blumenbär heisst nicht so, ist aber einer.

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Hans Blumenbär beherrscht C, C++, Visualbasic, PHP, Java und ColdFusion recht gut, andere Programmiersprachen bloss etwas. Visualbasic mag er nicht, zu wenig eindeutig, nicht die Exaktheit, die einen guten Nachvollzug erlaubt. C und PHP schätzt er schon mehr. Pascal und Fortran braucht er nicht, das ist was für pensionierte Techniker, und Hans Blumenbär programmiert vor allem Webseiten. Fortran wurde 1953 in die Welt gesetzt und steckt vielleicht in einer altmodischen Planetensonde, einfach, klar, prozedural. Eine objektorientierte und um Jahrzehnte modernere Sprache wie C++ beschreibt erst Objekte, hängt diesen Attribute und Methoden an, lässt die Objekte dann zusammenkommen und miteinander arbeiten. Fortran geht seinen Weg straight ahead. Der Fortran-Programmierer ist Wegmacher und lässt dann die Daten darüber sausen oder kriechen. Der C++-Programmierer entwickelt eine Art Figur, die er mit andern Figuren interagieren lässt. C++ ist sehr wahrscheinlich auch die Sprache Ihres Betriebssystems.
Die heutigen Programmiersprachen haben ihre Ursprünge in den vierziger Jahren. Computer kennen nur das Entweder-Oder, die Eins und die Null. Die direkte Beschreibung eines Programms in diesem Binärcode nennt man Maschinensprache. Diese findet sich im Stammhirn eines jeden Computers. Maschinensprache bringt sowohl die Gattung wie das Einzelgerät erst in Betrieb und hält diesen aufrecht. Auch alle weiteren Programme und Prozesse sind schliesslich immer mit der Maschinensprache verknüpft. Um es für menschliche Programmierer etwas komfortabler zu machen, wurden erst Assemblersprachen entwickelt, die Befehle für Maschinensprache in Symbolen darstellen. In der nächsten Sprachgeneration wurden Sprachen entwickelt, die der menschlichen Verwaltung den Bezug zur Maschinensprache weitgehend abnehmen und eine lediglich sprachlogische Anwendung verlangen, bei der es aber auch weiterhin nur ein Entweder-Oder gibt. Hier erscheint nun Fortran als Sprache für numerische Berechnungen, als Sprache der Techniker, der Sondenbauer und Raumfahrer, heute stilisiert und persifliert als Programmiersprache für Programmiermachos. Diese Technikersprache bekam Anfang der sechziger Jahre ein Pendant: Cobol, die Sprache für Verwaltungsrechner, entwickelt von einem Frauenteam, das Grace Hopper leitete, eine der wenigen bekannten Frauen in der Szene der Sprachentwickler. Auch der Schweizer Niklaus Wirth lieferte Ende der sechziger Jahre mit Pascal eine wichtige Sprache, die, erst als Schulsprache gedacht, in Grosscomputern Einzug hielt. Die Siebziger beschäftigten sich mit neuen Sprachen, die anwenderfreundlich sein sollten. Die Benutzeroberflächen mussten beschrieben und kontrolliert, Datenbankzugriffe vereinfacht werden. Die Forschung zur künstlichen Intelligenz produzierte Expertensysteme wie Prolog. Es kamen die Achtziger und die objektorientierten Sprachen, teils aus alten Sprachen entwickelt wie C++ aus C, teils neu wie Java oder Visual Basic, die durch eine Art Zellbildung, Objekte genannt, die Sprachevolution wieder ein grosses Stück weiterbrachten und die Begriffe Kapselung und Vererbung gebaren.
Für Hans Blumenbär ist dieses Theater der Objektfiguren etwas schal geworden. Sonden mit Fortran drin baut er sowieso nicht, er schaut in den Nachthimmel und träumt vom Herrgott und von all den netten Menschen um ihn herum. Und die C++-Objekte mit ihren Attributen, Funktionen und Methoden haben bis heute noch nicht jenen Esprit, der eine Sinnlichkeit bewirkt, wie Hans Blumenbär sie halt braucht.
Was die Informatiker heute in die Welt setzen, sind Turingmaschinen, nach dem Mathematiker Alan Turing (1912-1954) benannt. Turingmaschinen lösen alle für sie lösbaren Probleme. Unlösbare Probleme bringen sie oder Teile davon zum Absturz, den man als Halteproblem bezeichnet. Turingmaschinen sind streng rationale Systeme, die in sich komplett determiniert sind. Darum sind all die obigen Sprachen Fehlern gegenüber nicht tolerant. Programmierer haben den Ehrgeiz, funktionierende Turingmaschinen zu schaffen, also fehlerlos zu schreiben. Das Halteproblem bedeutet, dass die Welt nicht vollständig rational erfasst werden kann, weil und solange ein Halteproblem auftritt, und dieses tritt bis anhin immer auf, da die Welt noch zu keinem Ende gekommen ist.
Hans Blumenbär schreibt zurzeit lieber poetische Texte. Er liebt Blumen, schön gekleidete Frauen und das Betrachten der von Frauen eingerichteten Innenräume; er mag Beziehungsprobleme und Beziehungsglück, will lieber lächeln und Händchen halten. Hans Blumenbär ist ein Traummann, er hört zu und gibt Antwort, hält und lässt los; er überwindet jedes Turingsche Halteproblem mit einem zuversichtlichen Lächeln. Dabei wagt er einiges, verschuldet sich mit unverbesserlichem Optimismus, kann aber auch in kurzer Zeit viel Geld verdienen und sehr spendabel sein, ohne gleich den Kopf zu verlieren. Hans Blumenbär kann tauchen, segeln, fechten, Aikido, wandern, aber nicht Auto fahren, dafür kochen und wahrscheinlich, dies etwas extrapoliert, gut kuscheln. Hans Blumenbär ist, wie fast alle für Frauen guten Männer, klein und etwas fest gebaut, aber sehr straff und beweglich. Er hat ausser der Turingmaschine auf seinem Schreibtisch noch eine Rudermaschine im Haus. Damit kann er bei Bedarf ein paar Kilo abarbeiten. Spricht man mit Hans Blumenbär über Beziehungsfragen, kann er den Programmierer nicht immer verstecken. Da fallen Wörter wie Interrupts oder Ping, der Begriff für das Anklopfen eines Computers bei einem andern Computer.
Programmierer sind Fachleute für Beziehungen und deren Management vom Binärcode bis zum Konferenztisch der Geschäftsleitung. Sie beschäftigen sich den ganzen Tag damit. Wunderbar ist zum Beispiel der Begriff der Nebenläufigkeit, ein Begriff, den sich frustrierte Frauen von Programmierern merken sollten. Auch hübsch ist die Kapselung. Gekapselt werden Objekte, damit sie sich nicht gegenseitig ins Gehege kommen. Und schliesslich können Objekte ihre Eigenschaften an andere Objekte vererben, ebenfalls ein Familien-relevantes Thema. Wer vereinnahmt da wen? Die Programmiersprachen die Normalsprache oder andersrum? Die Beantwortung solcher Fragen könnte vielleicht beim Subjekt zu finden sein und bei der Annäherung der Informatik an die Philosophen des Idealismus im 18. und 19. Jahrhundert.
Im frühen 19. Jahrhundert lebte auch Lady Ada Countess of Lovelace, Tochter Lord Byrons und Assistentin von Charles Babbage, der die ersten, noch ganz mechanischen Computer plante, sie aber nie bauen konnte. Ein Teilnachbau seines grössten Vorhabens, der hausgrossen Analytical Engine, bewies deren Funktionsfähigkeit. Das Rechenungetüm wäre von einer Dampfmaschine angetrieben worden und hätte funktioniert wie ein moderner Computer, bloss mechanisch anstatt elektronisch. Lady Ada war für die Übersetzung der Betriebsanleitung zuständig. Dabei erkannte und beschrieb sie die Möglichkeiten einer flexiblen Programmierung unabhängig von der Maschine selbst, das heisst, sie entwickelte im eigentlichen Sinne Software und wurde so zur Urmutter aller Programmierer. Ada, die nach ihr benannte Sprache, wird vor allem vom US-Militär benutzt, steuert aber auch die Ariane-Raketen.
Ein Besuch am Institut für Informatik der ETH Zürich zeigt, dass Lady Adas Geschlechtsgenossinnen heute nicht sonderlich stark an dieser Wissenschaft interessiert sind. Die Vorlesung über Prinzipien des Concurrent Programming wird von knapp dreissig jungen Herren besucht. Dabei wird die vermeintlich ureigenste Domäne aller Frauen thematisiert: Beziehungen. Der Herr Referent erläutert Algorithmen, die ein konfliktfreies Abarbeiten von zwei oder mehreren Rechenprozessen in einem einzigen Rechner darzustellen versuchen. In der Pause lassen sich in den Gängen durchaus noch einige Studentinnen entdecken, etwa zehn Prozent mögen es sein. In südeuropäischen und asiatischen Ländern sind es scheint's sogar bis zu fünfzig Prozent.
Hans Blumenbär will Bootsbauer werden. Händchen halten, Planken schleifen und ein kontrolliertes Stück Verlust der Kontrolle über die Dinge, die man da schafft, das will er. Hans Blumenbär ist passionierter Segler, selbst im November legt er sich an mit Wasser und Wind. Er ist dieser Verrückte, den Sie ganz allein in einem kleinen Einmannsegler auf dem See herumkurven sehen, während Sie die Handschuhe ausziehen, um Marroni zu essen.
Kann künstlich geschaffene Intelligenz ohne Händchenhalten und ohne Gefühl für die Kraft der Elemente wirklich funktionieren? Brauchen künftige Roboter als uns vielleicht ebenbürtige Wesen allenfalls nicht nur Beine, Sensoren und Strom, sondern auch zwei oder drei Geschlechter, um richtig kreativ zu werden? Werden sie ihre Erbsünde oder ihr Karma haben, haltlos sein, einen permanenten Kampf gegen das Halteproblem führen und so innerlich Angetriebene oder auch Loslassende sein, Abenteurer, die sich dann unserer Kontrolle in gleicher Weise entziehen, wie Adam und Eva es durch den Apfelschmaus getan haben?

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Das Halteproblem der Turingmaschine hat ähnlich tönende Verwandte wie den Gödelschen Unvollständigkeitssatz, der sagt, dass die Mathematik sich nicht selbst begründen kann, oder wie das Messproblem in der Quantenphysik, wo sich Elementarteilchen nicht mehr kausal verstehen lassen und sich einer vollständigen Messung entziehen, oder wie den Rausschmiss aus dem Paradies, der zu der ganzen wunderbaren Verwirrung in dieser Welt geführt hat. Lauter Geschichten, Theorien, Modelle, die unsere Grenzen aufzeigen, die sich überhaupt mit Grenzen beschäftigen, mit unlösbaren Fragen, Aporien, welche die Philosophen schon von alters her anhalten liessen. Solange wir streng rational sein wollen, laufen wir Gefahr, daran zu verzweifeln, wie eine Turingmaschine mit ihrem Halteproblem. Aber mit Hilfe von Geschichten wie den Schöpfungsmythen und auch dank Alltagstratsch schaffen wir es, das Halteproblem zumindest abzuwenden.
Das Halteproblem der Physik ist in der Quantenphysik beschrieben, die vor über sechzig Jahren die Unbestimmtheit von Elementarteilchen beziehungsweise die Unschärfe von Teilchenwellen in die klassische, streng rationalistische und deterministische und also Turingmaschinen-gleiche Physik eingeführt hat, zu der eigentlich auch die Relativitätstheorie gehört. Einstein hat sich lange dagegen gewehrt - «Gott würfelt nicht» ist sein bekannter Ausspruch dazu -, vergebens. Der Quantencomputer ist schon Realität, wenn auch nur als Laboranordnung, die so nur Kleinstrechnungen ausführen kann. Der Quantencomputer rechnet mit drei Zuständen, zwei bestimmten und einem unbestimmten. Teilt sich ein Lichtteilchen auf, bleibt es mit dem Zwilling über jeden beliebigen Raum ohne Zeitverlust verschränkt. Misst man nun eine Eigenschaft wie den Spin bei einem Teilchen als positiv, wird das andere diese Eigenschaft negativ haben. Misst man gar nicht, so wird der Spin bei beiden unbestimmt sein, und zwar objektiv und nicht weil der Messende oder eben Nichtmessende es nicht weiss. Durch die drei Zustände und die nicht zeitgebundene Verschränkung ergeben sich erheblich schnellere und raffiniertere Rechenoperationen. Dass dabei mit Zuständen gerechnet wird, die unbestimmt sind, oder im Falle der Betrachtung von Wellen mit Wahrscheinlichkeiten, macht die Vorrichtung für etwas forsche Forscher wie den Informatiker Jürgen Schmidhuber zum Kandidaten für eine sogenannte Gödelmaschine, die jedes Halteproblem überwindet und hinter die sogenannte Gödelgrenzlinie zu schauen vermag, indem sie selbst die dazu fähige nächste Gödelmaschine baut.
Nun lässt sich sagen, das Rechnen mit unbestimmten Zuständen sei doch Alltag, denn so ist das Leben, wir sind alle Quantencomputer. Unsere alltägliche makroskopische Unbestimmtheit ist allerdings einfach Unwissenheit und fortlaufend überwindbar durch immer schnellere Rechner, mehr Wissen und bessere Instrumente. Die Heisenbergsche Unschärfe in der Quantenphysik oder die Gödelsche Unbestimmbarkeit in der Mathematik sind aber von prinzipiellerer Natur und lassen sich nicht reduktiv oder rational überwinden. Man stösst an eine Wand, die unsere Erkenntnismöglichkeiten eingrenzt auf den Nabel unserer Welt, hinter dem aber nicht Petrus hockt, sondern etwas, von dem wir nichts wissen können, weil es hinter unserer Gödelgrenzlinie liegt.
Zur Beruhigung empfiehlt es sich, erst einmal mit dem angenehm unbestimmten Hans Blumenbär Kaffee zu trinken. Will er vielleicht, anstatt Turingmaschinen zu schaffen, einfach eine Frau suchen zum Gödeln? Er meint, nicht alles zu wissen, und möchte eine Frau ins Kunsthaus einladen, was dafür spricht, dass er keine Turingmaschine ist. Überhaupt ist er mehr denn je entschlossen, Boote zu bauen und nicht mehr Verhandlungen zu führen über den Preis seiner virtuellen Turingmaschinen. Ferner ist er überzeugt, sowieso einmal viel Geld zu verdienen für die Frau, die er dann lieben und mit der er ein Haus und ein Boot teilen wird. Alle zwei Tage hat er ein Blind Date, aber noch war keines erfolgversprechend. Hans Blumenbär hat auch Angst vor dem körperlichen Sterben und möchte allein schon deshalb eine Frau neben sich liegen wissen, die im Falle eines Aussetzens seiner Herztätigkeit ihn reanimieren kann.
Der Tod, ein Halteproblem oder auch eine Gödelgrenzlinie, ist sowohl für den Menschen wie für sogenannt künstliches Leben eine Triebfeder, immer intelligenter zu werden. Das Bemühen um die Erkenntnis einer Welt hinter der eigenen Gödelgrenzlinie problematisiert beinahe jede Science Fiction und hüllt dabei eigentlich nur die alten Mythen in ein technologisches Gewand. Der Mensch wird auch als Gattung zum Auslaufmodell. Der Tod ist der Zusammenbruch von Ausdehnung und das Schrumpfen der Oberfläche. Und wir tun ja allerhand, dieses hinauszuzögern, die plastische Chirurgie, die ganze Hautcrème-Industrie, Sport, dauernde Weiterbildung, Kultur, gemütliches Beisammensein, Meditation, Gebet, Familie, all dies lässt den Menschen als Einzel- oder Teilwesen etwas Spannung oder Trost und damit Oberfläche behalten.
Die Oberflächen der heutigen Computer sind ebenfalls wichtige Trostspender. Bilder werden immer mehr und bald nur noch digital hergestellt und kontrolliert. Wir wollen mal gar nicht an Filme, Fotos und Spiele denken, allein schon der Rahmen und das diesen Rahmen produzierende Betriebssystem werden unser Hirn sicherlich prägen. Die sogenannte Desktop-Umgebung begleitet viele Menschen den ganzen lieben Tag lang. Die meisten, über neunzig Prozent, betrachten einen Windows-Bildschirm. Apple-Betrachter dümpeln um die fünf Prozent herum, Linux-Betrachter eher unter fünf Prozent.
Wenn man bei Hans Blumenbär vorbeigeht, serviert er einem fast immer eine Suppe. Und irgendwann ist Hans Blumenbär auch zum Vegetarier geworden, warum, kann er interessanterweise nicht schlüssig darlegen. Manchmal sitzen schon andere Menschen in Blumenbärs Suppenküche. Einer von ihnen ist Raja. Raja tut gleichzeitig, was Hans Blumenbär nacheinander tut. Er programmiert, und er baut etwas Ähnliches wie Boote, Roboter nämlich, torkelnde, kriechende, zappelnde Turingmaschinen. Und Raja kennt Miriam. Miriam ist Roboterforscherin, zwar ist sie nicht Informatikerin, sondern hat Biochemie und auch etwas Psychologie studiert, aber das Programmieren mit C++ ist für sie Alltagsarbeit. Miriam arbeitet mit lauter jungen und netten Männern zusammen, und wie schon zu erahnen, arbeitet die einzige weitere Frau im Sekretariat. Miriam meint, wenn sie dereinst mehrere Nachfolgerinnen haben solle, müsse man die Mädchen frühzeitig mit Technik vertraut machen. Sie selbst hatte einen Vater, der sie darin förderte. Und Miriam dankt es ihm, sie fühlt sich ganz wohl mit den jungen Männern zusammen. Allerdings würde sie es auch schätzen, wieder einmal ein paar Kommilitoninnen um sich zu haben.
Miriam arbeitet im AILab (Artificial Intelligence Laboratory) der Universität Zürich an einem Projekt, Amouse genannt, das sich mit der Funktion von Tasthaaren beschäftigt. Dazu werden kleine Roboter mit echten tierischen Tasthaaren ausgestattet. Die Schwingungen der Haare bei Hindernisberührungen werden elektronisch verarbeitet und lassen den Roboter ein kleines Labyrinth erforschen. Und auch wenn Miriam C++ benützt und gerne an ihren Robotern bastelt, ist sie bei ihrer Arbeit zu einem grossen Teil auch Biologin und Verhaltensforscherin. Das Mausprojekt lockt viele Leute an, Journalisten, Fachleute und auch Schulklassen, bei denen die Buben immer zuvorderst stehen.
Hans Blumenbär hat in der Zwischenzeit mehrere Damenbekanntschaften gemacht, die diversen, offen dargelegten und abgesprochenen Zwecken dienen. Eine läge ihm auch längerfristig sehr am Herzen, ist aber von ihrem Terminkalender stark eingenommen. Die Bootsbauer sind ihm weiterhin wenig hold, kein Platz oder zu weit weg. Er erwägt die Lehre ohne Lehrmeister zu machen, was in der Branche aber auch nicht unbedingt geschätzt wird. Und so programmiert Hans Blumenbär wieder häufiger und verdient Geld, für Nachtessen, Kino, Blumen und Aussteuer.
Die Evolution hat unser Gehirn hervorgebracht, keine Turingmaschine, sondern ein Ding mit Geschichte, das sich fortwährend weiterentwickelt wie eine Gödelmaschine und dauernden Veränderungen der Umwelt ausgesetzt ist. Darum arbeitet die moderne Forschung in künstlicher Intelligenz mit Verschaltungen, die dem neuronalen Netz des Gehirns gleichen, das wechselnde Zustände abbildet, also Analogien schafft, hält und verwirft, sowie mit genetischen Algorithmen oder Programmen, die in evolutiven Prozessen optimale Lösungen finden. Auf unserem luxuriösen Planeten wurde so auch jene Lösung möglich von Gegenständen, die sich selber betrachten und deshalb recht eingebildet sind, was ihre Fähigkeit betrifft, Halteprobleme zu überwinden, aber ängstlich, es irgendwann nicht mehr zu können.
Blumenbärs Suppenfreund Raja ist Physiker und treibende Kraft in einem Verein von Forschern mit dem Namen DDE, einer Art Ateliergemeinschaft, wie unter Künstlern häufig üblich. Dementsprechend sieht auch die Werkstatt in einem alten Backsteingebäude aus, etwas chaotisch, Computer, Werkbänke, mechanische und elektronische Teile, ein Männerhaushalt. Geforscht wird zurzeit an pneumatischen Elementen, die ein Stück Intelligenz in sich haben, Muskeläquivalente. Dazu werden spezielle Schläuche verwendet, die mit Hilfe von Pressluft sich zusammenziehen und wieder entspannen können. Solche Muskelimitate können in verschiedenen Grössen kombiniert und mit Gelenken verbunden werden. Steuern lassen sich derartige nicht starre Glieder nur mit neuronalem Netz und genetischen Algorithmen, die lernfähig sind, ihre Bewegungsmöglichkeiten austesten und optimieren können. Ausgereift werden sie vielleicht als Fabrikationsroboter eingesetzt werden und sind auch Teil eines Forschungsprogramms des AILab, das menschliche Bewegungsabläufe erforschen und nachbauen will, was vielleicht in die Konstruktion von besseren Prothesen münden wird.
Einer von Rajas Geschöpfen hat hin und wieder Auftritte an Kunstausstellungen. Stumpy ist ein tanzender Hüpfroboter. Auch im AILab von Miriam hat es Platz für Gastkünstler, die interaktive Medien, Apparate und Roboter schaffen und einsetzen oder Bilder mit Hilfe von genetischen Algorithmen generieren. Kunst hat sich immer schon mit Wissenschaft beschäftigt. Und hier scheinen sich Forscher und Künstler besonders nah zu kommen. Es geht um unsere eigene Sinnlichkeit.
Hans Blumenbär ist verliebt, hat aber das typische Halteproblem des in der Ungewissheit schwebenden Mannes, der sich fragt, wie er es anstellen soll, zu einer Entscheidung, besser einer Zusage zu kommen. Er hat zu viel geschwatzt und hat den Gödelsprung noch nicht vollzogen. Der arme Kerl hat im Moment alle Hände voll zu tun, etwas kränkeln, verliebt sein, arbeiten, all die andern Frauen weiter betreuen, auch mit den Männern zusammenhocken und Bekanntschaften im Segelklub und bei den Bootsbauern pflegen. Viel Arbeit für Hans Blumenbär, aber alles gibt sich dabei die Hand. So tun sich fast täglich frische Perspektiven auf und kneten den neuen Lebensentwurf durch.


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© Die Wochenzeitung; 20.01.2005; Nummer 3; Seite 14

WIRTSCHAFT

Mauretanien-Schweiz · Ob gebrauchte Autos, Kühlschränke oder Computer: Für Ibrahim Yahli sind sie eine wichtige Einnahmequelle.
Kostbarer Abfall

Mit Ibrahim Ould Yahli lässt sich Tee trinken. Mit Ibrahim lässt sich auch in einem alten Peugeot-Lieferwagen herumfahren, dem Modell mit den Schiebetüren, das in älteren französischen Filmen gern von Gemüsehändlern und Polizisten benutzt wird. So einen Peugeot füllt Ibrahim mit Dingen, die hier abfallen, am Strassenrand liegen, auf ihre Entsorgung warten, aus Kellern und Estrichen hervorgeschleppt werden können und meist immer noch funktionieren. In Afrika fahren uralte Autos mit CH-Klebern noch Jahre weiter, verrichten ausrangierte Kühlschränke ihren Dienst und werden auch Computer mit einer Taktfrequenz von unter einem Gigahertz noch eingesetzt.


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Ich stehe, zusammen mit Ibrahim, in einem Zürcher Hinterhof und belade den Peugeot mit zwanzig gebrauchten Computern, einem alten Kopierapparat und drei schweren Bürotischen. Auf einer Baustelle liegt eine schon etwas abgenutzte Gerüstplane, ein begehrtes Material in Afrika: Daraus entstehen Treibhäuser, Verschläge, Windschutzvorrichtungen. Auch Garagen sind wahre Goldgruben: Hier finden wir ein paar Reifen mit noch brauchbarem Profil, dazu dreissig zum Teil fabrikneue Felgen, zerbeulte Türen und Motorhauben, allerlei Kleinzeug aus dem Altmetallcontainer und halb volle Batterien. Manche Garagenbesitzer überlassen uns ihre alte Ware auf der Stelle, andere haben schon ihren festen Abnehmer. Bei den Reifen heisst es: alle oder keinen. Diese Gegenstände, die hier draussen im Regen, in Abfallcontainern oder Schuppen auf ihre endgültige Entsorgung warten, werden später in Mauretanien zusammen ein paar hundert Franken kosten.

Man kann diesen Handel auch verwerflich finden und sich fragen, ob diese gebrauchte Ware, das Ende der Verwertungskette, bei uns nicht besser aufgehoben wäre: sortiert, gefiltert, hochtemperiert verbrannt und eingeschmolzen nach bestem ökologischem Wissen. Für Ibrahim bedeutet jedoch der Export ausrangierter Ware eine Chance, Geld zu verdienen und seine Familie zu versorgen.
Ein alter Lieferwagen wie der Peugeot ist bei den libanesischen Gebrauchtwagenhändlern in Oerlikon bei Barbezahlung sofort erhältlich. Bis oben aufgefüllt mit Sammelgut, die Türen zugeschweisst, verschiffen diese ihn günstig als fahrenden Kleincontainer nach Afrika. Die libanesischen Gebrauchtwarenhändler beherrschen den Export alter Autos und kontrollieren die ganze Transportkette vom Norden in den Süden, von Westen nach Osten, nach Abidjan genauso wie nach Bagdad. Gefragt sind hauptsächlich Liefer- und Lastwagen zum Auffüllen mit Abfall, der auf der Reise an Wert gewinnt. Personenwagen sind schon heikler, was ihre Rentabilität angeht. In Westafrika etwa sind vor allem Fahrzeuge mit Allradantrieb gefragt, in Bagdad kauft man dank besseren Strassen gerne mal eine weisse japanische Limousine - Klimaanlage erwünscht.
Sadik* arbeitet in Oerlikon. Der Libanese hat grosse Hände und versteht sich aufs Technische, aber nicht auf Deutsch oder Englisch oder Französisch. Sein Kollege Tarek* dagegen ist schmal und fein, spricht die nötigen Sprachen und ist winters etwas zu dürftig angezogen. Wird es wärmer, taut er auf und lächelt auch mal. Für Mohammed Massif, ihren Chef, ist Mauretanien eine neue Destination, die gepflegt werden muss. Deshalb profitiert Ibrahim von günstigen Ankäufen.
Auf dem Areal in Oerlikon stehen die ausrangierten Autos Stossstange an Stossstange, die Durchgänge sind schmal, ungeniert darf zur Besichtigung eines schwer erreichbaren Wagens über Kühlerhauben geklettert werden. Werden die alten Karren, voll gestopft mit Reifen, Fernsehern, Computern oder gar alten Teppichen, auf den Transporter nach Antwerpen verladen, bieten sich einem infernalische Bilder und Töne. Es dröhnt und kreischt. Hin und wieder fehlt ein Auspuff, Räder sind abgeknickt, Reifen platt. Sadik überbrückt Batterien, schleppt ab. Tarek spricht gleichzeitig mit dem Chauffeur, dem Handy und den nigerianischen Kunden, die ein paar Preisauskünfte wollen. Es gibt auf diesem Marktplatz keine brav anstehenden Bittsteller. Alle Klienten bringen ihre Anliegen gleichzeitig an: Der alte Wohnwagen, der als Büro dient, quillt über von Handelnden, Schreibenden, Telefonierenden und Streitenden, irgendwann wird gelacht.
Neben dem Büro-Wohnwagen steht ein zweiter, in dem eine Nigerianerin Getränke und afrikanisches Essen verkauft.
Auf diesem Platz lässt sich einiges Geld verdienen, wenn man ein Handy und etwas Kleingeld hat. Man kauft und verkauft. Solcher Handel mit hübsch assortierten Geldbündeln zieht allerlei Leute an, auch Polizisten, von denen Mohammed meint, er kenne inzwischen alle in der Stadt. Den Streifenwagen aber wollen sie Ibrahim noch nicht verkaufen; nachdem sie seinen Schweizer Pass kontrolliert haben, lachen sie immerhin. Doch fündig werden sie schon, nehmen den einen oder andern mit, Asylbewerber zum Beispiel, denen es nicht erlaubt ist, zu arbeiten oder zu handeln, die hier aber immer mal eine Gelegenheit finden, ein Trinkgeld zu verdienen.
Hinter Panzerglas und Sicherheitsschleusen präsentiert sich das Büro eines Altmetallverwerters in Altstetten neben neu errichteten Bürotürmen. Draussen scheppert es, als der Kran alte Kochherde in den Bahnwagen fallen lässt und daneben Männer diversen Alters auf Abfälle warten, die vom grossen Magneten abfallen, um sich daraus das eine oder andere herauszupicken. Es lässt sich mit etwas Geduld und Frechheit durchaus eine Stereoanlage zusammenstellen oder der richtige Wasserhahn fürs Schrebergartenhaus finden. Im Büro aber gibt es keine Geschenke, da geht es um Bargeld, um viel Bargeld.
Auf dem Betriebsareal liegt ein grosser Haufen Kabel aller Art, eigentlich gedacht zum Einschmelzen in Italien oder Frankreich. Für Ibrahim ist es jedoch ein gefragtes Gut. Das Kilo einen Franken, meint der Mann in der Sicherheitsschleuse des Büros. Einzelne Stücke darf man sich gratis nehmen. Also picken wir uns auch was raus und besuchen Mahmout, den iranischen Pouletbrater, der nicht weit vom Altmetallplatz einen fahrbaren Essstand betreibt. Hinter dem Stand breitet sich ein staubiger Platz aus, durchsetzt von Resten einer Kellermauer, einigen alten, auseinander gefallenen Fernsehern und vor allem mit darauf abgestellten alten Autos. Zwei davon werden Ibrahim und ich später den Libanesen mit Gewinn verkaufen.
Ibrahim wird insgesamt vier gefüllte Wagen nach Mauretanien schicken, selber nachreisen und den Verkaufserlös in einen Laden stecken, wo seine importierten Altcomputer repariert, verkauft oder vermietet werden.
Robert Mast ist Altstoffhändler in Regensdorf und ein prächtiger Kerl, das weiss er und setzt es ein. Offen spricht er übers Geschäft und lässt seinem Hang zur Selbstdarstellung gern etwas Leine, dass es allen Spass macht. Ibrahim war von Beginn weg begeistert von seinem neuen Geschäftspartner, der ihm alles bietet, was er sich wünscht zu exportieren; alles, was sonst mühsam zusammengesucht werden muss, präsentiert sich säuberlich aufgestellt in Roberts Lager: Elektrowaren, Computer, Schuhe, Kleider, Fenster, Möbel - alles, was auch Brockenhäuser zu bieten haben, steht en gros bereit zum Verkauf an Afrikaner oder Osteuropäer und das zu einem fairen Preis.
Draussen dann türmt sich jene Ware, wegen der Ibrahim hergekommen ist: über 100 000 Altreifen, handsortiert, von häufig noch guter Qualität und einem Preis, der endlich auch Ibrahim befriedigt, wenn er denn einmal so weit sein wird, einige tausend Franken in die Hand nehmen zu können für den Kauf einer Containerladung Altreifen samt Verschiffung und Verzollung. Und vor allem, hier finden sich auch die passenden Grössen, denn in Afrika will niemand mit kleinen Reifen auf ungeteerten Strassen herumkurven.
Mit der Verschärfung der Exportvorschriften für Abfälle auf 2005 werden wohl weniger Reifen ein zweites Leben im Ausland finden. Reifen, die Schweizer Normen nicht entsprechen, dürfen dann nicht mehr ausgeführt werden. Die Abnehmerstaaten schwanken selber zwischen Laisser-faire zugunsten der grossen Masse ihrer Bevölkerungen - die damit billige Occasionsware erhalten - und gesetzlichen Restriktionen.
Es ist nahezu unmöglich, die vollen Lieferwagen unversehrt nach Mauretanien zu bringen. Schon vor dem Ausladen in Nouakchott in Mauretanien sind die Fenster von zwei Fahrerkabinen eingeschlagen, das kurz vor Abreise noch vorne eingeladene Faxgerät ist verschwunden, ein wichtiges Ersatzteil im Handschuhfach ebenfalls. Die Lieferwagen werden alle zugeschweisst, Fenster zugesprayt oder abgedeckt. Die Fahrerkabine allerdings muss offen bleiben und wird nur mit dem Schlüssel abgeschlossen. Die nigerianischen Händler montieren zumindest bei den Jeeps und Mercedes auch die Lichter und Rückspiegel ab. Seinen eigenen Landsleuten traut Ibrahim solches nicht zu, eher den Matrosen auf dem Schiff. In der Hauptstadt hätten die Händler noch vor wenigen Jahren ihre Läden nie abgeschlossen, erzählt er.

*Name geändert

Wie es weiterging, wird hier erzählt.
© Neue Zürcher Zeitung; 13.06.2005; Nummer 135; Seite 33

Zürcher Kultur

Philipp IV. und der Brandstifter
Der Brandanschlag im Kunsthaus vor zwanzig Jahren

Vor genau zwanzig Jahren wurde im Kunsthaus Zürich ein Brandanschlag auf Rubens' Bildnis des Königs Philipp IV. von Spanien verübt. Der Brandstifter, ein junger Mann aus Deutschland, wurde aufgrund eines psychiatrischen Gutachtens nicht verurteilt, obwohl er mit seiner Verzweiflungstat hoffte, ins Gefängnis zu kommen. Der Autor des folgenden Artikels hat ihn zwanzig Jahre nach der Tat in München besucht.

Im Juni 1985 wandert ein junger Mann von 19 Jahren im Zürcher Kunsthaus von einem Gemälde zum nächsten. Vom Leben enttäuscht, sucht er ein Bild. In einer kleinen, wenig frequentierten Ausstellungskammer findet er dieses Bild. Es ist das Bildnis des spanischen Königs Philipp IV. im Alter von 23 Jahren von Peter Paul Rubens. Ein trauriger und unschöner Kopf mit Flaumbart sitzt auf einer Golilla, einem tellerartigen Halskragen, der ein prächtiges, dunkles Gewand abschliesst. Der junge Mann bespritzt das Bild mit Brandbeschleuniger und zündet es an. Es verbrennt vollständig.


Felipe IV