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Der Metzger Schwegler wie er im PFISTER auftaucht.
 


Schwegler reinigte sorgfältig seine grossen, leicht adrig durchzogenen Hände mit den dunkelbraunen Haaren, die aus einigen der grossen Poren herauswuchsen. Dann streifte er sich den Siegelring wieder  über, den er zur Arbeit immer auszog und ins Kästchen ob dem Lavabo legte. Früher hatte er zusätzlich auch den Ehering an- und ausgezogen, das war jetzt nicht mehr nötig, er hatte sich von seiner Frau scheiden lassen, ja er hatte nicht mehr gewollt, und zwar ohne dass eine andere im Spiel gewesen wäre. Kinder hatten sie sowieso keine gehabt, und irgendwann musste Schwegler sich und ihr sagen, dass er alleine eigentlich besser zurechtkam, nicht eben das, was Frauen gerne hören, die Sache war den auch nicht so rasch ausgestanden, aber schliesslich hatte sie ihn freigegeben.

Schwegler war im unverbindlichen Umgang zwar ein geselliger, freundlicher Typ, aber schon seine wirklich guten Manieren, sein hin und wieder dezentes Schweigen liessen ahnen, dass er seinen eigenen Ansprüchen nachkommen wollte und ansonsten freundlich zurücktrat. Schwegler war Metzger, und Metzger im Allgemeinen und Schwegler im Speziellen sind, entgegen vielleicht gängigen Vorurteilen, sehr sensible Menschen, meistens, denn es gibt in jedem Metier Leute, die nicht dahingehören, denen ihr Metier eigentlich nicht gefällt, nichts sagt und gibt, die fallen auf, lassen ein schlechtes Licht auf das ganze Gewerbe fallen, aber der passionierte Fleischeinkäufer und vorallem die gute Hausfrau wissen genau, dass es kein anderes Gewerbe im Lebensmittelbereich gibt, das soviel Empfindsamkeit verlangt, oder zumindest ermöglicht wie das Metzgereigewerbe.

Schwegler schöpfte diese Möglichkeiten fast maximal aus. Er ging in seinem Metier derart auf, dass er tatsächlich keiner Frau mehr bedurfte, so hatte er das jedenfalls gesehen in der Sache mit seiner Exfrau. Zweifel erlaubte auch er sich hin und wieder.

Die Sache mit Schwegler lässt sich aber auch ganz anders angehen, Pfister spielte Hammondorgel, Schwegler besass eine Modelleisenbahn, vernachlässigte sie zwar hin und wieder, vorallem im Sommer, aber immer an Weihnachten beschenkte er sich selber mit einer neuen Lok, einer Pendelkomposition oder gar einem Dutzend Shell-Tankwagen. Dank der Wahl einer Spur N konnte er ziemlich grosszügig bauen, lange Geraden und flache Kurven, die von endlosen Güterzügen durchfahren wurden, das machte Spass. Güterzüge waren Schweglers liebstes Material.

 

 
Und in MESSER SIEBEN, der Fortsetzung von PFISTER, geht Schweglers liebstes Werkzeug eigene Wege.
 

Messer Sieben fehlt. Schwegler bemerkt es morgens um 08.54 kurz vor dem Aufschliessen. Messer Sieben ist Schweglers meistbenutztes Messer. Mit Messer Sieben filetiert er. Mit Messer Sieben schneidet er Stücke. Messer Sieben ist Schweglers dritte Hand. Messer Sieben fehlt und Schweg­ler ahnt Schlimmes. Messer Sieben ist immer ordentlich aufgehängt gewesen neben Messer Sechs und Messer Fünf. Nie hätte Schwegler Messer Sieben verlegt. Messer Sie­ben ist entwendet worden, heimlich, nächtens, böswillig, unheilig. Messer Sieben ist vom Unheil befallen worden, ist wankelmütig gemacht worden, ist Schwegler entwendet worden, hat sich von Schwegler abgewendet. Es wird sich weisen, wie viel Würde und wie viel Sein dazu beigetragen hat. Niemand ist unschuldig, auch Messer Sieben nicht, schon gar nicht Messer Sieben, auch wenn es nie getötet hat, nur filetiert und Stücke geschnitten Es hat genug Schuld auf sich geladen, um sich das Blut auf seiner Haut jeden Abend von Schwegler wegmachen zu lassen, und dann zu den andern Messern gehängt zu werden, wo es gehangen hat, die ganze Nacht hindurch.

Messer Sieben ist auf Abwegen. Messer Sieben entdeckt seine wahre und tiefste Schuld, seine Schneidigkeit, seine Ent­schlusskraft, seine Gabe messerscharf zu analysieren. Messer Sieben wird sich in einen Fall verwickeln.

Schwegler weiss das sofort und sein eigenes Blut sackt ihm ab vor Schreck. `Messer Sieben`, denkt er, „Messer Sieben“, spricht er, „was hast du vor?“ Schwegler sieht im Geiste Frau Meier in ihrem Blute liegen, Messer Sieben daneben. Ausgerechnet Frau Meier, seine treueste Kundin, nicht seine beste, aber seine treueste, seine PR-Frau. Schwegler wagt nicht, auch Pfister, ebendiesen besten Kunden, in dessen Blut liegen zu sehen, Messer Sieben daneben. Nein, das kann er sich nicht vorstellen. Warum bloss? `Warum bloss stelle ich mir Frau Meier in ihrem Blut vor?`, fragt er sich und schämt sich derart, dass er hochschauen muss und sein Blick auf der Strasse der noch lebenden Frau Meier gewahr wird, die treu und pünktlich um neun ihre kleine Portion tägli­ches Frischfleisch abzuholen gedenkt. Schweglers Blut schiesst wieder hoch bis in den seit Generationen vererbten Metzgerkopf. Da oben peinigt es ihn, in guter Absicht zwar, in erleichternder Absicht über Frau Meiers fesches Witwenleben, aber Schweglers Schädel hält es auf und Schweglers gesundes Gewicht ihn selbst nieder.

„Morgen Herr Schwegler, frisch sehen Sie aus.“

Schwegler lächelt, die Tür ist offen gewesen, Frau Meier eingetreten. Wer nur hat die Tür aufgeschlossen? Wohl der Dieb von Messer Sieben, der Verführer von Messer Sieben? „Morgen Frau Meier. Hab heut wieder mal kalt geduscht. Et­was schlecht geschlafen, morgens eine kalte Dusche, und sofort ist man hellwach. Was darf`s denn sein?“

Heute hab ich Besuch, mein Sohn kommt mit Familie vorbei. Ich hab an einen Kalbsbraten gedacht.“

„Drei Jungen hat er?“

„Ja.“

„Na, eineinhalb, dann gibt’s für Sie morgen noch was.“

„Ja ja.“

„Eigentlich wär die Kalbsbratenaktion ja für morgen ge­dacht. Aber ich ziehe das für sie etwas vor, und geb`s ihnen heut schon etwas günstiger.“

„Aber Herr Schwegler.“

„Das ist richtig so. Gute Kundschaft mag der Metzger“.

 Schwegler nimmt Messer Acht zur Hand und schneidet den Braten so, dass in etwa noch das richtige Stück für Herrn Berchtold übrig bleibt, der um zehn sein wöchentliches Stück Kalbsbraten zum Alleinessen abholen wird und denkt dabei, dass Herr Berchtold und Frau Meier hervorragend zusammen passen würden, wenn sie sich nur erst kennen lernen könnten, hier bei Schwegler, was durch Herrn Berchtold und Frau Meiers sturen Einkaufsplan bis anhin nie zustande gekommen ist. Vor allem aber denkt Schwegler an Messer Sieben, das einfach ideal ist für alle Arbeiten. Schwegler würde am liebsten alles mit Messer Sieben machen, sogar das Ausbeinen, auch wenn Messer Vier da einiges praktischer ist. Messer Sieben liegt ihm am Herzen, denkt er und muss schmunzeln.

“Sie schmunzeln so, Herr Schwegler, das tut ihnen wirklich gut diese kalte Dusche. Und dann geben sie mir noch ein Herz für den Hund.“

„Kennen sie eigentlich den Herrn Berchtold?“, muss Schwegler fragen.

„Den Herrn Berchtold?…also nein.“

„Der Herr Berchtold kommt immer genau eine Stunde nach ihnen zu mir. Das ist mir jetzt grad wieder mal aufgefallen.“

„Ah ja, so.“

„Also meine Uhr könnte ich zumindest vormittags verschenken. Kommt Frau Meier, muss der Laden offen sein. Kommt Herr Berchtold, ist schon ein Drittel um, den Rest kann die innere Uhr hochrechnen, dann um Mittag kommen die Mittagskunden, die noch rasch was haben müssen und lange studieren was es denn sein soll. Gegen eins wird’s ruhig und der Laden schliesst sich beinah von alleine.“

„Schon schön so eine Metzgerei, Herr Schwegler. Und ich muss ihnen also doch wieder mal ein Kompliment machen. Wie sie alles hübsch herrichten. Gute Ware haben sie sowieso. Das weiss ja offenbar nicht nur ich zu schätzen, zumindest Herr Berchtold scheint da gleicher Ansicht zu sein. Den werd ich also nie sehen. Da würd ich ihren morgendlichen Fahrplan ja ganz durcheinander bringen. Sie laden mir da richtig Verantwortung auf.“

„So war das natürlich nicht gemeint. Nein, nein. Kommen sie ruhig mal um zehn. Genau, kommen sie doch morgen um zehn vorbei. Also neugierig sind sie doch.“

„Also Herr Schwegler, sie sind mir einer. Aber es stimmt schon, bin schon neugierig.“ Frau Meier rötet sich noch mehr. Schwegler lächelt etwas süffisant, das ist nun doch etwa ge­wagt gewesen, Kundschaft gegenüber. Frau Meier aber hat es geschluckt, und Schwegler inzwischen Braten für Frauchen und Herz für den Hund schön eingepackt.

„Wissen sie, Frau Meier, manchmal überlege ich mir, eine kleine Aperobar einzurichten. Da drüben hätte es noch Platz.“ Wieder errötet Frau Meier. „Ja also, sie sprühen ja vor Ideen, Herr Schwegler, da müsst ich denn doch meine Einkaufspläne etwas revidieren.“

„Sind nur Ideen. Aber sie fänden es eine gute Idee?“

„Doch doch, aber grad um fünf ist doch gar viel los?“

„Genau, aber so würde es sich vielleicht rentieren eine Hilfe einzustellen, die mir hinter der Theke zur Hand geht und die Weissweine serviert.“

„Ah ja, stimmt eigentlich.“

„Wissen sie, Frau Meier, das wär nichts Grosses. Etwas Weissen, etwas Rohschinken, etwas Tartar, so in der Art.“

„Schön ja.“

„Sechsundzwanzigvierzig.“

„Hier bitte.“

„Danke.“

„Hin und wieder muss man etwas Abwechslung ins Leben bringen, siebenundzwanzig, dreissig, fünfzig.“

„Das wird toll, Herr Schwegler. Dann morgen mal um zehn.“

„Ich wünsch ihnen einen schönen Tag, Frau Meier.“

„Danke, ich ihnen auch.“

 Frau Meier entschwindet etwas aufgewühlt und ohne zurückzuschauen. Schwegler hält die Türe etwas lange offen und denkt sich, `eigentlich noch gut erhalten, zwar etwas älter als ich, aber gut erhalten.` Schwegler erinnert sich an das Garten­fest in Pfisters Garten, als Frau Meier kurz rüber kam und fantastisch tanzte. `Eigentlich eine tolle Frau.` Und Schwegler stellt sich vor, wie sie Herrn Berchtold küsst, diesen etwas dürren und verschmitzten Mann, der nun immer älter wird und sicher froh wäre um etwas Hilfe von Frau Meier, die noch fesch genug ist, um auch Schwegler noch einiges zu bieten, wenn er sich wieder etwas optimistischer selbst be­trachten darf, und eigentlich darf er das, schon im Vergleich mit den andern Waschlappen in seinem Alter, ausser Pfister, ein toller Kerl, etwas jünger, aber schon ruhig, ir­gendwie angenehm ruhig und doch eine zufriedene Frau zu Hause, im Gegensatz zu ihm, Schwegler, dessen Frau hat flüchten müssen, die er in die Flucht geschlagen hat, einfach uner­träglich gefunden hat. Aber jetzt wär er vielleicht langsam wieder reif für so eine Frau, so eine mit etwas Pepp. Eine die ein Messer führen konnte, dass es schön war zuzuschauen, sowas hatte seine Exfrau nie gekonnt, daran hatte er sich als erstes und letztes gestossen, geschnitten eigentlich, dieses unschöne Führen des Messers hatte Schweglers Schönheitssinn arg verletzt, immer wieder, das war es gewesen, darum hatte er sie verstossen, grauenhaft. Messer Sieben, hat Marie-Louise, seine Exfrau, Messer Sieben entführt?

 
Gehen Sie nun endlich, gehen Sie in die Welt hinaus.